Die Mär vom grünen Wachstum: »Das Ende des Kapitalismus« von Ulrike Herrmann

Das Ende des Kapitalismus - Buch von Ulrike Herrmann

In ihrem neuesten Buch »Das Ende des Kapitalismus – Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind« räumt Ulrike Herrmann mit der Mär vom ewigen Wirtschaftswachstum auf, insbesondere dem »grünen Wachstum«. Der Titel verrät alles, sie postuliert das Ende des kapitalistischen Systems. Für manch einen mag es nach einer überraschenden und erschreckenden Botschaft klingen. Die Journalistin und Autorin ist eine Frau der klaren Worte.  Sie stellt harte Thesen auf und bezieht Stellung. Dabei analysiert und argumentiert sie so fundiert, verständlich und unpolemisch, dass ihre Stimme ein Gewinn für das gesellschaftliche Meinungsbild ist. Zudem stellt sie in ihrem Buch nicht nur ein Problem dar, sondern liefert einen interessanten Lösungsansatz mit.

»Das Ende des Kapitalismus«

Ulrike Herrmann ist eine deutsche Journalistin und Autorin. Die 1964 geborene Publizistin absolvierte eine Lehre zur Bankkauffrau, bevor sie Philosophie und Geschichte studierte. Sie schrieb bereits mehrere Bücher, die alle Bestseller wurden. Man mag sie auch aus politischen Talkshows oder als Redakteurin der »taz« kennen. Ihr jüngstes Sachbuch »Das Ende des Kapitalismus« stieg beim Erscheinen im September 2022 direkt auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste Sachbuch Hardcover ein. Das Werk erschien im Verlag Kiepenheuer & Witsch.

Die Wirtschaftsjournalistin formuliert harte und bisweilen unpopuläre Thesen. Dafür findet sie klare Worte, und darin liegt wohl ihre größte Stärke: Sie analysiert und argumentiert klar und sachlich. Dem müssen fundierte Recherchen zugrunde liegen und Ulrike Herrmann muss selbst viel Zeit mit Lesen verbringen: So besteht fast die Hälfte des Buches aus Quellenangaben. Meine E-Book-Lektüre war nach 57% plötzlich zu Ende – es folgten die Quellenangaben.

Ulrike Herrmann ist im Gegensatz zu den sogenannten »Crash-Propheten«, die ebenfalls den Untergang des Wirtschaftssystems vorhersagen, unaufgeregt und sachlich. Es geht nicht darum, wie man so schnell wie möglich sein Vermögen rettet, bevor es zu spät ist. Die Autorin erklärt selbstbewusst ihre Thesen. Sie scheint Spaß und Interesse an der Sache selbst zu haben, nämlich unser Wirtschaftssystem als Ganzes zu hinterfragen, auch unbequeme Wahrheiten herauszufinden und darüber nachzudenken und zu philosophieren, wie wir in Zukunft leben werden – frei von wirtschaftlichem oder politischem Kalkül.

Die Geschichte und das Ende des Kapitalismus

Zunächst liefert die Autorin im »Ende des Kapitalismus« eine Geschichte des Kapitalismus, angefangen beim England des 18. Jahrhunderts und der Industrialisierung. Die Zusammenfassung liest sich spannend.

Herrmann erklärt, wie der Kapitalismus funktioniert: Kapitalismus braucht Wachstum. Sonst bricht das System sehr schnell zusammen. Unbegrenztes Wachstum ist in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nicht möglich. Aus diesem Grund sei der Kapitalismus früher oder später am Ende, so eine These im Buch.

Es ist ein gesellschaftliches Paradigma, dass etwas gegen den Klimawandel und dessen Folgen getan werden sollte. Die Energiewende ist in der Politik ein großes Thema. Dort spricht man von »grünem Wachstum« und Nachhaltigkeit.

Die Mär vom grünen Wachstum

»Grünes Wachstum gibt es nicht. Es ist eine Illusion.« So klar formuliert es Ulrike Herrmann.

Denn auch um Akkus für E-Autos, Solarpaneele und Windräder herzustellen, braucht man Ressourcen und stößt CO2 aus, so die Autorin: »Grüne Technik verschlingt nicht bloß Stahl, Beton und Aluminium, was bisher ausreichend vorhanden ist – sondern auch eher knappe Mineralien […] Der Bedarf an Mineralien wird also explodieren, wenn die ganze Welt klimaneutral wirtschaften will.« Auf zahlreiche Beispiele und Studien gestützt, erläutert sie dies und rechnet vor, warum die Rechnung des grünen, nachhaltigen Wachstums nicht aufgehen kann.

In einem anderen Kapitel rechnet sie mit den Ökonomen und deren Modellen ab (Musik in den Ohren der Volkswirtin: Erst Jahre nach meinem Studium begann ich, kritisch über unser Wirtschaftssystem nachzudenken. Dabei wurde mir klar, dass ich ein volkswirtschaftliches Studium absolvierte und viele theoretische Modelle durchrechnete: in keinem Modell wurde Wirtschaftswachstum je in Frage gestellt. Rückblickend sehr ernüchternd).

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Ebenso geht Ulrike Herrmann mit angeblich ökologisch bewussten Konsumenten ins Gericht. »Gerade Gutverdiener neigen dazu, sich für besonders umweltbewusst zu halten. Sie kaufen Biogemüse und Energiesparlampen und merken gar nicht, dass sie meist sehr üppig wohnen und häufig fliegen«. Zu diesem Satz fallen mir sofort mehrere Menschen aus meinem Bekanntenkreis ein.

Die Autorin macht klar: Wir können nicht ökologisch wachsen, wir müssen schrumpfen, wenn wir den Klimawandel aufhalten und den Planeten lebenswert halten möchten. Ohne Kapitalismus.

Verzichten, sparen, weniger konsumieren – das klingt unschön. Soll dies gesellschaftlich durchgesetzt werden oder muss es zwangsweise passieren, dann birgt das Konfliktpotenzial.

Die britische Kriegswirtschaft als Lösung?

»Gesucht wird also eine Idee, wie sich Wirtschaft schrumpfen lässt, ohne dass Chaos ausbricht.« Ulrike Herrmanns Lösungsansatz lautet: die britische Kriegswirtschaft ab 1939.

Das bedarf näheren Erläuterungen: Damals gab der britische Staat vor, was produziert werden sollte, jedoch wurden Unternehmen nicht verstaatlicht und blieben in privater Hand.

»Die britische Regierung lenkte die Betriebe indirekt – indem sie Rohstoffe, Kredite und Arbeitskräfte zuteilte«, so Herrmann. Lebensmittel und andere Konsumgüter wie Möbel wurden damals rationiert und die Verteilung gelenkt. Großbritannien sei so vergleichsweise gut durch die Kriegszeit gekommen.

»Wie wir in Zukunft leben werden«. So lautet der zweite Teil der Titelunterschrift. Ulrike Herrmann bietet als Lösungsansatz einen Vorschlag für geordnetes Schrumpfen.

Ziel ist eine »Ökologische Kreislaufwirtschaft«, in der nur so viele Ressourcen verbraucht werden, wie auch recycelt werden können. Das bedeutet auch, Flugreisen und Fleischkonsum zu reduzieren sowie Altbauten zu sanieren anstatt neu zu bauen.

Mein Fazit

Manch ein Leser mag schockiert sein über die Aussage, dass der Kapitalismus ausgedient habe und dass es in diesem System keine grüne Wende geben könne. Für mich ist dieser Teil nicht unbedingt neu. Die Frage, wie der Kapitalismus funktioniert stellt beispielsweise auch der Film »Oeconomia«. Bei der Analyse der immer steigenden Verschuldung bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man unser Geldsystem mit einem Schneeballsystem vergleichen kann. Den Lesern der Volkswirtin dürfte bekannt sein, dass ich nicht an die Nachhaltigkeit unseres Geld-, Finanz- und Wirtschaftssystems glaube.

Umso spannender finde ich es, einen konkreten Lösungsansatz von Frau Herrmann zu hören. Aber die britische Kriegswirtschaft? Wie bitte? Das hat mich erst einmal konsterniert. Auch, weil ich einem starken Staat von Haus aus kritisch gegenüberstehe (Stichwort Eigenverantwortung). Der Staat soll bestimmen, was produziert und wie verteilt wird? Das klingt sehr nach Sozialismus (jedoch, wie die Autorin betont, bleiben die Unternehmen in privater Hand).

Mich beunruhigt, dass unsere Gesellschaft immer ungleicher wird, die Schere zwischen arm und reich wächst. Aus diesem Grund ist der Vorschlag der Autorin spannend: »Bisher gibt es keinen Plan, wie sich der dynamisch wachsende Kapitalismus beenden ließe, ohne dass eine schwere Wirtschaftskrise droht. Die britische Kriegswirtschaft könnte ein solches Modell liefern: Sie zeigt, wie eine private Planwirtschaft die zivile Produktion geordndet schrumpfen kann – und wie sich dann knappe Güter rationieren lassen, damit der soziale Frieden erhalten bleibt.«

Was ich mich jedoch weiterhin frage: Ist es realistisch, dass man nennenswerte Teile oder gar die Mehrheit der Bevölkerung zu freiwilligem Verzicht anhält? Ich glaube es nicht. Zu schön die Versprechen von Politikern, die mit frisch gedrucktem Geld Wahlgeschenke zu machen.

Dennoch: Würde Frau Herrmann eine Verzichtspartei gründen, ich würde sie sofort wählen. Ihr Vorschlag ist die konkreteste Alternative zu unserem jetzigen System, von der ich gehört habe. Es wäre ein Versuch wert. (Übrigens war Frau Herrmann im Podcast »Hotel Matze« zu Gast – dort wurde dieses Thema angesprochen. Und nicht nur deswegen ist die Podcastfolge hörenswert. Frau Herrmann äußert sich nicht nur im Buch, sondern auch im Gespräch beeindruckend sachkundig und schlagfertig).

Auch wenn »Das Ende des Kapitalismus« auf der Spiegel-Bestsellerliste steht und es gelesen wird, zweifle ich daran, dass der Vorschlag der Autorin ernst genommen wird. Ich tippe nach wie vor darauf, dass wir durch neues Drucken von Geld bzw. Schuldenmachen irgendwann in eine unkontrollierte Inflation schlittern werden, die unser System, auch Kapitalismus genannt, beenden wird. Ein geordnetes Schrumpfen wäre eine interessante Alternative, über die ich auf jeden Fall weiter nachdenken und diskutieren werde. Und Frau Herrmanns Buch werde ich empfehlen.


Herrmann, Ulrike: Das Ende des Kapitalismus. Kiepenheuer & Witsch. Hardcover. 2022. ISBN 9783462002553. 24,00 €.

Das E-Book wurde mir als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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3 Gedanken zu „Die Mär vom grünen Wachstum: »Das Ende des Kapitalismus« von Ulrike Herrmann“

  1. Hallo Sarah,
    vielen Dank für diesen Artikel! Ich habe das Interview im Hotel Matze gehört und mich gefreut, als ich gesehen habe, dass du das Buch auch vorstellst. Ich lese hier sehr gerne mit, schätze deine Sicht sehr und danke dir für deine Arbeit!
    Viele Grüße
    Anna-Lena

  2. Der Begriff „Entkoppelung“ ist überaus beliebt bei Politikern und Ökonomen. Die Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch ist ja in aller Munde, obwohl es kaum vorstellbar ist, wie das funktionieren soll. Sie beschreiben es ja sehr gut.

    Aber könnte man nicht ganz einfach darüber nachdenken, die globale Wirtschaft vom Finanzsystem abzukoppeln. Das Finanzsystem ist ja die Ursache für das Wirtschaftswachstum, weil die Zinsen erwirtschaftet werden müssen. Nach dem Entkoppeln wäre deshalb kein Wachstum mehr erforderlich.

    Aber würde denn dann die Wirtschaft weiter produzieren, wenn die Menschen nicht durch den Entzug von Geld zur Arbeit gezwungen würden? Natürlich würde die Wirtschaft weiter produzieren, aber nur noch das, was die Menschen wirklich brauchen und nicht mehr das, was nur hergestellt wird, um Wachstum zu generieren. Natürlich würden wir weiterhin arbeiten. Schließlich werden 40 Prozent der geleisteten Arbeit, hauptsächlich Care-Tätigkeiten, ohnehin nicht bezahlt aber trotzdem geleistet, meist mit viel Liebe. Die gesamte Zivilgesellschaft funktioniert ohne Bezahlung. Arbeit ist eine Eigenschaft, die uns von den Tieren unterscheidet. Diese Eigenschaft verschwindet nicht, nur weil man Finanzsystem und Wirtschaft entkoppelt. Niederländische Forscher haben an Hand von Mammutknochen unlängst festgestellt, dass schon die Neandertaler so etwas wie eine Fleischverarbeitungsindustrie hatten. Schnitt- und Sägemale an Knochen deuten darauf hin, dass das Zerlegen weitgehend standardisiert war. Zehntausende Jahre bevor es Geld gab. Einfach deshalb, weil jeder mithalf. Und so solidarisch und diszipliniert, wie sich die Menschheit bei der Bekämpfung der Pandemie verhalten hat, werden wir auch handeln, wenn es darum geht, die Zukunft der Menschheit zu sichern und zu gestalten.

    Vor fünfzig Jahren noch hatte das Finanzsystem seine Existenzberechtigung. Aber heute könnte man in Echtzeit produzieren, d.h. man könnte das Verkaufsregal über das Internet direkt mit der Fabrik verknüpfen. Dadurch würde wirklich nur das produziert werden, was benötigt wird.

    Vor allem im globalen Norden leben wir heute im Überfluss, deshalb ist auch der Markt als Allokationsinstrument nicht mehr erforderlich. Heute käme es darauf an, dass das, was produziert wird, gerecht verteilt wird. Markt und Geld sind hierfür die absolut ungeeignetsten Werkzeuge. Wir sehen das deutlich an der sich immer weiter vergrößernden Ungleichheit auf der Welt.

    Das Finanzsystem verfügt über keinerlei materiellen Wert, es ist eine rein symbolische Größe, mit der man versucht, den Wert von Gütern darzustellen. Nach der Entkopplung von der Wirtschaft könnte man diese symbolische Größe einfach verschwinden lassen, ohne dass es den wirklichen Wert der Güter negativ beeinflussen würde.

    Ein Auslöser für diesen Prozess könnte die globale Abschaffung der Schulden sein. Im Stillen wünscht sich das fast die gesamte Menschheit. Schließlich trägt jede vierköpfige Familie in Deutschland ungefähr einhunderzwanzigtausend Euro Staatsschulden mit sich herum. Der größte Effekt aber wäre die Herstellung von Gerechtigkeit zwischen globalem Norden und globalem Süden. Man müsste nur ein globales Referendum zur Abschaffung aller Schulden initiieren. Das würde nicht einmal viel kosten, da würde Mundpropaganda wahrscheinlich schon ausreichen.

    Was würde passieren, wenn wir die Wählerinnen und Wähler einfach darüber abstimmen ließen, dass alle Schulden gestrichen werden? Ein Jubilee, wie man es sich seit biblischen Zeiten erträumt?
    Der Erlass finanzieller Schulden ist ein Bedürfnis, das in jedem Menschen schlummert. Man müsste dieses Bedürfnis nur wecken, es zum Ausbruch bringen. So wie man das Bedürfnis geweckt hat, mit Kreuzfahrtschiffen zu reisen oder das Bedürfnis, mit dem Fahrrad quer durch den Wald zu fahren.
    Was würde dann passieren? Auf den ersten Blick scheint es, als wäre es ungerecht. Ungerecht gegenüber denen, die sparsam waren und keine Schulden gemacht haben. Ungerecht gegenüber den Gläubigern, denen Zins und Tilgung entgehen würden. Und es wäre ja auch schier unmöglich, alle Schuldverhältnisse zu entwirren.
    Aber was würde denn passieren, wenn man einfach gleichzeitig alles Geld abschaffen würde? Danach bekämen alle Menschen alles umsonst. Auch der Gläubiger bekäme alles umsonst, ebenso der Milliardär oder der Obdachlose. Es gäbe also überhaupt keine Benachteiligung. Weder der Gläubiger noch der Milliardär bräuchten ihr Geld noch, weil sie alles, was sie benötigen, geschenkt bekämen.

    Ich denke, die „Entkoppelung von Wirtschaft und Finanzsystem“ wäre ein Vorschlag, den man Politikern vorlegen und über den man durchaus diskutieren könnte. Dies könnte innerhalb eines Jahres geschehen, sodass es sich um eine kurzfristige Lösung der größten globalen Probleme Klimawandel und Ungleichheit handelt.
    Literatur: https://letusbe.one/d/

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