Frank Stocker im Interview: »Die Hyperinflation wird sich nicht wiederholen«

Frank Stocker

Der Wirtschaftsjournalist und Autor Frank Stocker hat zur Inflation von 1923 ein Buch geschrieben. Die Volkswirtin hat es gelesen und den Autor um ein Interview gebeten (siehe Rezension).

Lesen Sie ein spannendes Interview. Selbstverständlich geht es um die Inflation vor hundert Jahren und heute. Aber auch um Geldpolitik und Währungen, Geldanlage und Wirtschaft allgemein.

Frank Stocker, Journalist, Autor und Referent (Foto: privat)

Über Frank Stocker

Frank Stocker ist seit 20 Jahren Wirtschafts- und Finanzredakteur bei der WELT und Experte für Finanzmärkte. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet. 2012 erhielt er den Deutschen Journalistenpreis. Er hat Geschichte und Politik studiert.

Im August 2022 erschien sein Sachbuch »Die Inflation von 1923 – Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam« im Finanzbuchverlag. Eine Rezension der Volkswirtin finden Sie hier.

Interview mit Frank Stocker

Sarah Tischer: Herr Stocker, Sie haben Politik und Geschichte studiert und arbeiten als Wirtschafts- und Finanzredakteur. Wann und wie haben Sie begonnen, sich für die Themen Wirtschaft und Finanzen interessieren und darüber zu schreiben?

Frank Stocker: Ich habe zu meiner Geburt schon Aktien geschenkt bekommen. Das Thema ist mir also im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt worden. Am Höhepunkt der Internetblase am Aktienmarkt, im Jahr 2000, habe ich dann auch begonnen, mich beruflich damit zu befassen. Und seither bin ich dabei geblieben.

Wie kamen Sie dazu, ein Buch über die Inflation von 1923 zu schreiben?

Frank Stocker: Das ist letztlich eine Folge der Corona-Pandemie. Im letzten Lockdown, als man in kalten Winternächten wochenlang zu Hause saß, habe ich mich mal wieder durch Wikipedia geklickt und bin irgendwie bei dem Thema hängen geblieben. Ich wollte dann mehr wissen, stellte aber schnell fest, dass es keine guten, populär aufgeschriebenen Bücher dazu gab. Was macht ein Journalist ist einer solchen Situation? Er beschließt selbst eins zu schreiben. Zeit hatte ich ja während des Lockdowns genug. Und so entstand nach und nach das Buch.

In Ihrem Buch beschreiben Sie die Jahre nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland bis zur Hyperinflation im Jahre 1923. Immer wieder gibt es Berichte von Zeitzeugen zu lesen. Geldwert und Frieden waren labil. Es waren unsichere, von Wohlstandsverlusten geprägte Zeiten. Konnten Sie noch mit Zeitzeugen sprechen? Wo haben Sie nach Zeitzeugenberichten recherchiert?

Frank Stocker: Wie gesagt, das meiste habe ich während des Lockdowns recherchiert. Daher fanden diese Recherchen ausschließlich online statt. Das Gute ist, dass aus dieser Zeit vieles schon digitalisiert ist, seien es Dokumente, Zeitzeugenberichte oder auch Daten. Und das Schreiben ist nicht nur mein Beruf, sondern auch meine Berufung.

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Über Twitter sowie über Instagram berichten Sie quasi in Echtzeit, wie sich die Lebensmittelpreise vor exakt hundert Jahren verteuert haben. Wie kam es zur Idee des Twitter-Accounts? Auch auf dem YouTube-Kanal »Die Inflation der Weimarer Republik« und Facebook informieren Sie regelmäßig. Macht Ihnen der Umgang mit den sozialen Medien Spaß? Ist es ein Bonus für die Leser oder wollen Sie darüber neue Leser gewinnen?      

Frank Stocker: Bei meinen Recherchen habe ich so viel Material und so viele Informationen gesammelt, dass ich unmöglich jedes Detail ins Buch packen konnte. So entstand die Idee für diese Dokumentation in Echtzeit, und tatsächlich macht das auch Spaß. Aber natürlich ist das gleichzeitig auch ein ganz guter Weg das Thema bekannt zu machen, und damit letztlich auch das Buch.

Auf Ihrer Website kann man lesen, dass Sie die Welt der Wirtschaft und Finanzen verständlich erklären möchten. Was raten Sie den Menschen in Punkto Geldanlage im Moment, bei einer Inflationsrate von ca. 8% und einem Zinssatz, der nahe bei 0% liegt?

Frank Stocker: Der Mensch denkt grundsätzlich in nominalen Größen und nicht in realen. Das heißt, er sieht, der Zins ist bei -0,5 Prozent und ist entsetzt. Dann sieht er, dass der Zins auf +0,5 Prozent gestiegen ist, und ist erleichtert. Entscheidend ist aber immer die Relation zur Inflation. Ein Zins von 0,5 Prozent bei einer Inflation von 10 Prozent ist viel schlimmer als ein Zins von -0,5 Prozent bei einer Inflation von 1 Prozent. Wer sich das bewusst macht, hat schon mal einen großen Schritt gemacht. Denn dann merkt man, dass Zinsanlagen einen gigantischen Vermögensverlust bedeuten, heute mehr denn je. Die einzige Alternative sind offensichtlich Aktien – deren Kurse natürlich gerade stark gesunken sind. Das macht es emotional nicht leicht, jetzt darin zu investieren. Aber man sollte nicht auf die kurzfristige Entwicklung schauen. Alle Statistiken legen nahe: In 10 Jahren liegen die Kurse mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit höher.

Erhalten Sie als Wirtschaftsjournalist von Freunden und Bekannten und von Ihren Lesern viele Anfragen zu diesem Thema?

Frank Stocker: Klar. Aber ich bin kein Finanzberater. Ich kann und will keine Anlagetipps geben. Ich kann nur die Zusammenhänge erklären.

Was halten Sie von Kryptowährungen, von alternativen Währungskonzepten?

Frank Stocker: Über alternative Währungskonzepte mache ich mir keine Gedanken. Ich lebe mit dem heute bestehenden und treffe meine Entscheidungen auf dieser Basis. Daher investiere ich auch nicht in Dinge, die die Welt verändern wollen, sondern in reale Werte, die hier und jetzt Geld verdienen, also reale Unternehmen. Das wird vielleicht von jenen belächelt, die mit Bitcoin & Co. viel Geld verdient haben. Aber wie gesagt, ich bin seit Geburt Aktionär und damit gut gefahren. Und meine Erfahrung der letzten 50 Jahre zeigt, dass Visionen meist zerplatzen. Ob das bei Kryptowährungen anders sein wird, kann ich nicht sagen. Aber ich bleibe bei meinem bodenständigen, ruhigen und entspannten Investmentstil. Dadurch werde ich nicht reich, aber wer sich das zum Ziel seiner Geldanlage macht, wird scheitern. Das Ziel sollte sein, eine Rendite zu erzielen, die leicht über der Inflation liegt.

Vor ziemlich genau hundert Jahren gab es in Deutschland die von Ihnen beschriebene Hyperinflation. Das Thema »Inflation« ist im Jahre 2022 nun auch wieder bei der Bevölkerung angekommen. Steigende Preise in verschiedenen Bereichen sind ein großes Thema. Erste Ängste kommen auf. Die Gretchenfrage lautet: Kann die Situation wieder so außer Kontrolle geraten wie vor 100 Jahren, dass es gar zu einer Hyperinflation kommt? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede von damals zu heute?

Frank Stocker: Nein, die Hyperinflation wird sich nicht wiederholen. Damit so etwas geschieht, müssen ganz viele ungünstige Faktoren zusammenkommen. Damals waren das ein verlorener Krieg, gigantische Reparationszahlungen, der Verlust von 13 Prozent des Territoriums und eines Großteils der Bodenschätze. Zudem war jeder 20. Deutsche kriegsgeschädigt oder Hinterbliebener und musste vom Staat versorgt werden, es herrschte politisches Chaos, die Reichsbank wurde von unfähigen Leuten geführt und die Ökonomen basierten ihre Analysen auf völlig abstrusen Theorien. Vor allem aber hielt man die Inflation lange Zeit sogar für vorteilhaft, da Deutschland im Gegensatz zu den anderen Staaten, die sie mit Zinserhöhungen zügelten, nicht in eine Rezession fiel. Hier boomte die Konjunktur – bis die Inflation außer Kontrolle geriet. Heute haben wir sicher einige Probleme, kein einziges davon ist aber auch nur annähernd so gigantisch wie das, was Deutschland vor 100 Jahren erlebte. Und vor allem hält heute niemand die Inflation für vorteilhaft.

Wie man in ihrem Buch erfährt, hat der Staat damals sehr rigorose Maßnahmen durchgeführt, wie den Besitz von Devisen und Gold verboten, oder Druckereien für den Druck von neuen Banknoten beschlagnahmt. Meinen Sie, dass der Staat heutzutage in einer Notsituation wieder so hart durchgreifen würde?

Frank Stocker: In einer Notsituation kann und muss ein Staat hart durchgreifen. Das haben wir in der Finanzkrise gesehen oder in der Corona-Krise. Das ist er seinen Bürgern schuldig. Das Problem vor 100 Jahren war jedoch, dass jene Maßnahmen nichts brachten. Es war Kosmetik, die das Übel nicht bekämpfte. Daher bezweifle ich, ob solche Verbote heute noch mal zum Einsatz kämen. Vor allem aber glaube ich nicht, dass wir noch einmal in eine solche währungspolitische Lage kommen.

Im Nachwort Ihres Buches schreiben Sie, dass es richtig war, dass die Notenbanken in Folge der Finanzkrise 2007/08 eingesprungen sind (Stichwort Bankenrettung), um das Finanzwesen zu stabilisieren. Meiner Meinung nach wurde jedoch nach der kostspieligen Bankenrettung kaum etwas getan, um zukünftige Finanzkrisen zu vermeiden. Wie sehen Sie das?

Frank Stocker: Dass kaum etwas getan wurde, ist nicht ganz korrekt. Das Finanzsystem ist heute deutlich stabiler, insbesondere die Banken müssen beispielsweise viel mehr Geld als Eigenkapital hinterlegen, sie werden auch weit schärfer beaufsichtigt. Was allerdings geblieben ist, ist die Tatsache, dass die globale Interdependenz im Finanzsystem enorm ist und vieles so kompliziert verwoben ist, dass keiner den Durchblick hat. Das ist allerdings letztlich eine Folge der globalisierten Welt, und ich sehe keinen einfachen Weg, das zu ändern.

Bei der Lektüre Ihres Buches »Die Inflation von 1923« hat mich erstaunt, dass damals die Entwertung der Mark jahrelang sukzessive voranschritt. Erst bei einem Kurs von 4,2 Billionen Mark je Dollar wurde eine weitere Entwertung durch die Einführung der Rentenmark gestoppt. Von solch einer Situation scheinen wir im Moment meilenweit entfernt. Dennoch halte ich unser Finanzsystem für angeschlagen und nicht nachhaltig. Es ist erstaunlich, wie lange man dieses System durch Neuverschuldung und Drucken von Zentralbankgeld am Laufen halten kann. Geht es Ihnen da ähnlich oder halten Sie unser aktuelles System für stabil und die Situation nicht für vergleichbar?

Frank Stocker: Das Drucken von Geld ist für sich kein Grund zur Panik. Das hat selbst die geheiligte Bundesbank 1975 schon mal gemacht, das haben heute nur die meisten vergessen. Sie wollte damals die Renditen auf Staatsanleihen senken, und sie schaffte das auch. Man sollte das daher als ein geldpolitisches Instrument sehen, das in Ausnahmesituationen angewandt werden kann, so wie zur Bekämpfung der Finanzkrise. Zum Problem wird das Gelddrucken nur dann, wenn das Geld direkt in den Konsum fließt, so wie das 1923 der Fall war, aber auch während der Corona-Krise. Das hat die Inflation neben den Energiepreisen zuletzt angeschoben. Ich habe aber die Hoffnung, dass wir gerade dabei sind, das endlich zu überwinden. Die aktuelle Inflation und die deshalb erfolgten Zinserhöhungen dürfte dazu führen, dass wir dauerhaft wieder ein normales Zinsniveau erreichen und das Gelddrucken erst mal wieder Geschichte wird.

Die US-amerikanische Notenbank FED hat die Zinsen schneller und stärker erhöht als die europäische Zentralbank EZB. Halten Sie den US-Dollar oder auch den Schweizer Franken für die sicherere oder bessere Währung als den Euro?

Frank Stocker: Nein. Keine dieser Währung ist von einem Zusammenbruch bedroht. Was wir derzeit sehen, sind einfach Kursschwankungen. Als ein Euro vor einigen Jahren 1,60 Dollar kostete, hat ja auch niemand davon geredet, dass der Euro die sicherere Währung sei. Irgendwann wird sich der Trend wieder umkehren. Der Franken und die Schweiz profitieren allerdings generell von ihrem Image, so dass hier eher ein genereller Aufwärtstrend unter Schwankungen wahrscheinlich ist.

Im Nachwort Ihres Buches äußern Sie sich verhalten positiv (eigentlich müssten Notenbanker und Politiker wissen, was zu tun sei, nämlich die Zinsen zu erhöhen und nicht weiter Geld drucken, um Staaten zu finanzieren) und doch warnend (»Die Entwicklung schreitet weit langsamer voran als vor hundert Jahren. Aber deshalb ist sie nicht weniger gefährlich«). Wie können weitere Zinserhöhungen gelingen, ohne das Finanzsystem zu destabilisieren?

Frank Stocker: Das ist in der Tat eine Gratwanderung. Wie man es nicht macht, hat Großbritannien gerade gezeigt, wo die Regierung durch eine finanzpolitische Geisterfahrt soeben um ein Haar eine Kernschmelze des britischen Finanzsystems verursacht hat, die nur durch die Bank of England in letzter Minute verhindert wurde. Dieser erhöht jetzt einerseits die Zinsen und kauft gleichzeitig Anleihen, um sie zu senken – völlig irre. Das erinnert ein wenig an die Türkei, wo die Notenbank seit Jahren auf Geheiß von Präsident Erdogan eine absurde Geldpolitik macht und damit die Inflation auf 80 Prozent getrieben hat. Entscheidend für ein Gelingen der derzeit stattfindenden geldpolitischen Wende ist, dass die Notenbanken, aber auch die Finanzminister klug und vorsichtig handeln. So weit ich Einblick habe, scheint mir das in der Eurozone der Fall zu sein. Die Renditen der Staatsanleihen sind meines Erachtens übrigens nicht das größte Problem – es heißt ja oft, Italien werde bei steigenden Zinsen Probleme bekommen. Rom hat seine Schulden aber so finanziert, dass die Zinserhöhungen nur sehr langsam auf den Haushalt durchschlagen, das dauert Jahre. Mehr Sorgen macht mir der Immobilienmarkt. Bei den derzeitigen Preisen und Zinsen sind Wohnungen praktisch nicht mehr vermittelbar. Es wird da wohl demnächst einige Zusammenbrüche geben, von Immobilien- und Baufirmen. Dann ist die Frage, wie sich das auf die Bankbilanzen auswirkt.

Niemand kann sagen, wie es mit der Inflation in nächster Zeit weitergehen wird. Daher sind Prognosen immer unsicher. Aus gutem Grund geben manche Menschen daher keinerlei Prognosen ab. Wie halten Sie es damit? Wagen Sie eine Zukunftsprognose zur Inflation?

Frank Stocker: Vor einem Jahr war ich überzeugt, dass die Inflation im Laufe dieses Jahres zurückgeht. Dann überfiel Russland die Ukraine, die Energiepreise explodierten, und die Inflation ging erst so richtig los. Solche Ereignisse kann man nicht vorhersehen. Wenn aber nichts derartiges mehr passiert, dann sollte die Preissteigerung bald abnehmen. Der Ölpreis ist bereits wieder fast auf dem Niveau der Zeit vor dem Krieg, die Lieferengpässe haben sich deutlich entspannt, die Frachtraten, also die Kosten für den Transport von Gütern, sind erheblich gesunken. Es dauert noch einige Monate, bis das durchschlägt. Aber der Trend dürfte bald drehen. Wenn eben nicht erneut etwas Unvorhergesehenes passiert.

Vielen Dank für die aufschlussreichen Antworten, Herr Stocker!

Hinweis: Das Interview mit Frank Stocker habe ich per E-Mail geführt.

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