Kabarettistin Anny Hartmann im Interview: »Der Kapitalismus ist das Grundübel«

Die Kabarettistin Anny Hartmann

Anny Hartmann ist Kabarettistin. Für ihre Bühnenprogramme erhielt sie zahlreiche Preise. Als studierte Volkswirtin thematisiert sie bei ihren Auftritten immer wieder auch wirtschaftliche Fehlentwicklungen. Grund genug, Anny Hartmann für die-volkswirtin.de um ein Interview zu bitten.

Lesen Sie im Folgenden ein ausführliches Gespräch mit Anny Hartmann über Politik, Wirtschaft, Kapitalismus, Banken sowie ihren Werdegang und ihre Motivation als Künstlerin.

Anny Hartmann (Foto: BR/FotoSessnerg)

Über Anny Hartmann

Anny Hartmann ist Kabarettistin. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2023 den deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett. Bevor sie auf die Bühne ging, studierte Anny Hartmann Volkswirtschaftslehre (Diplom 2000) und arbeitete für kurze Zeit bei einer Bank. 2007 ging sie mit ihrem ersten Comedy-Soloprogramm auf Tour. Wenige Jahre später wechselte sie ihren Bühnenschwerpunkt und macht seither vorwiegend politisches Kabarett. Mit dem Programm »Klima-Ballerina« ist sie aktuell auf Tournee.

Interview mit Anny Hartmann

Sarah Tischer: Frau Hartmann, als studierte Volkswirtin haben Sie nach dem Studium zunächst bei der Sparkasse gearbeitet. Was war der Auslöser, dass sie dort gekündigt haben?

Anny Hartmann: Wohlgefühlt habe ich mich von Anfang an nicht. Ich habe mehrfach die Abteilung gewechselt, weil ich immer gehofft hatte, doch noch meinen Platz dort zu finden. Irgendwann hat mein Körper mir ein klares Signal gesendet: eines Tages bekam ich mit dem Schritt ins Büro 40 Grad Fieber. Da war die Sache klar, also ab nach Hause und Kündigung schreiben!

Wann haben sie begonnen, unser Wirtschaftssystem und politisches System in Frage zu stellen?

Anny Hartmann: Auf jeden Fall nicht während des Studiums – da wird man ja „markt-konform“ ausgebildet. Die Zweifel kamen erst später. Vor allem, seitdem ich politisches Kabarett gemacht habe. Ich recherchiere für meine Programme sehr viel, und da kommen dann eben doch Zweifel an den Studieninhalten.

Wie sind Sie zur Kleinkunst gekommen? Und wie von Comedy zum politischen Kabarett?

Anny Hartmann: Ein Freund erkannte mein Talent und hat mich mehr oder weniger auf die Bühne geschickt. Wir hatten einen Deal gemacht: ich mache das ein Jahr lang. und wenn ich nach dem Jahr keinen Spaß auf der Bühne hatte, gibt er zu, dass er sich getäuscht hat. Zehn Tage vor Ablauf des Jahres hatte ich dann zum ersten Mal Spaß auf der Bühne – es war also eine knappe Geschichte.
Der Wechsel von der Comedy zum politischen Kabarett kam durch den Jahresrückblick, den ich 12 Jahre lang jedes Jahr gemacht habe. Nach dem ersten Rückblick – in dem ich mich ausschließlich mit politischen Inhalten beschäftigt hatte – kam mir mein Comedy-Programm belanglos vor und so wechselte ich ins politische Fach.

Spreche ich über unser Finanz-, und Wirtschaftssystem, habe ich oft das Gefühl, dass sich die Menschen nicht dafür interessieren, obwohl meiner Meinung nach hier die Ursachen für viele Probleme unserer Zeit liegen – unter anderem die steigende Ungleichheit. Ihre Bühnenprogramme sind gut besucht, obwohl auch Sie diese Dinge thematisieren. Wie erklären Sie sich Ihren Erfolg?

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Anny Hartmann: Vielleicht liegt es daran, dass ich die Dinge ganz einfach erkläre, auch in einer einfachen Sprache. Gerade in der Wirtschafts- und Finanzpolitik drückt man sich gerne kompliziert aus. Georg Schramm nannte das mal sehr passend „Herrschaftssprech“. Wenn die Dinge nur umständlich genug formuliert sind, verlieren die Menschen das Interesse und man kann umso ungestörter weiter Profite auf Kosten der Allgemeinheit erwirtschaften.

Oft hat man den Eindruck, das Kabarett-Publikum sucht sich die Künstler aus, mit denen es ohnehin einer Meinung ist, um mehr oder weniger gemeinsam über andere zu lachen. Wie sehen Sie das? Wie erreichen Sie Menschen, die die Dinge anders sehen oder die sich noch nicht mit diesen Themen beschäftigt haben?

Anny Hartmann: Warum genau die Menschen zu mir kommen, weiß ich natürlich nicht. Am Anfang haben sich aber schon welche „verwirrt“. Die hatten einfach genau das erwartet, was leider viele Kollegen (bewusst nicht gegendert) machen: Witze über Politiker*innen und immer die gleiche Sau durchs Dorf treiben. Das habe ich von Anfang an nicht gemacht, und ich denke, mittlerweile hat sich rumgesprochen, dass es bei mir nicht um Personen, sondern um Inhalte geht. Und dafür interessieren sich mehr Menschen, als man gemeinhin denkt.

Haben Sie als Kabarettistin eine bestimmte Mission oder Botschaft?

Anny Hartmann: Aufklärung! Das ist mein Antrieb, um überhaupt auf eine Bühne zu gehen. Ich weiß noch aus meinen Studienzeiten, dass meine Mit-Studierenden immer sagten: „Komisch, in der Vorlesung versteh ich das nicht, aber wenn du es mir erklärst, raff ich das sofort.“ Ich scheine da also ein Talent zu haben, Wissen leicht verständlich zu vermitteln, und das nutze ich gerne auf der Bühne.

Im Interview bei SWR1-Leute vom März 2023 sagen Sie, dass Sie sich nicht besonders für einzelne Politiker interessieren, sondern für die Strukturen hinter unseren Systemen. (Dieser Satz hat mich übrigens aufhorchen lassen und den Auslöser gegeben, Sie um ein Interview für die-volkswirtin.de zu bitten). Die Strukturen sind in Ihrem Programm »NoLobby is perfect« ein zentrales Thema (abrufbar in der ARD-Mediathek). Wie können diese geändert werden? Wie können wir zu einem gerechteren System kommen?

Anny Hartmann: Das ist eine große und schwere Frage. Meiner Meinung nach ist der Kapitalismus das Grundproblem – ohne eine Überwindung des Wachstumspostulats wird jede andere Änderung schwer. Was aber schon mal hilft, ist mehr Mitbestimmung aus der Bevölkerung. Z.B. mit einem Bürgerrat – das hat man u. a. in Irland schon mit guten Ergebnissen getestet. Generell darf sich die Macht nicht so konzentrieren – konzentrierte Macht birgt immer die Gefahr des Missbrauchs (siehe auch Elon Musk und Twitter um nur mal ein aktuelles Beispiel zu nennen).
Ein positives Beispiel im Bezug auf Lobbyismus gibt es in der Schweiz: in den Kantonen, in denen die Bevölkerung viele Mitbestimmungsrechte haben, ist der Einfluss der Lobbyisten aus der Wirtschaft spürbar geringer und siehe da: die Kassenlage ist in diesen Kantonen besser, als in den anderen.
Vielleicht kann man es kurz so formulieren: Nehmt den Mächtigen die Macht!

Die Inflation ist ein Kernthema auf die-volkswirtin.de. Seit 2022 ist das Thema durch steigende Inflationsraten in aller Munde. Wie schätzen Sie die Lage ein? Kam die Inflation für Sie überraschend? Wird sie bleiben? Haben Sie Angst vor unkontrollierter Inflation?

Anny Hartmann: Momentan sehe ich bei vielen Preissteigerungen eine gewisse Mitnehm-Mentalität. Da werden die Preise einfach erhöht (um weit mehr als die Inflationsrate), weil das gerade eben geht. (Womit wir wieder bei der Macht siehe oben wären). Ich denke, die klassischen Mittel gegen Inflation, die ja auch im Studium gelehrt werden, z. B. Zinsen anzuheben, werden nicht helfen, da die Inflation durch sog. externe Schocks (Corona, Ukraine-Krieg) entstanden ist und nicht durch zu viel Geld im Umlauf. Zinssteigerungen verschärfen meiner Meinung nach das Problem. Ich denke, die Schocks werden „verdaut“ und dann reguliert sich das auch wieder.

Wie stehen Sie zur Geldpolitik? Ist diese auch Thema bei Ihnen?

Anny Hartmann: Ich versuche das Thema zu vermeiden – wenn ich damit anfangen würde, müsste ich ja erst mal darüber aufklären, dass Geld eigentlich nur eine Illusion ist Und ich muss ehrlich gestehen: Geld an sich interessiert mich nicht. Ja, es ist ein gutes Mittel zum Zweck, und Geld kann Stress ersparen und das Leben angenehmer gestalten, aber wirklich wichtig sind andere Sachen.

Sie thematisieren auch das Klima, befürworten es, wenn Jugendliche auf die Straße gehen, um für den Klimaschutz zu protestieren. Ich bin skeptisch, ob das etwas bringt: Denn solange es Kapitalismus gibt, brauchen wir Wachstum, um das System am Leben zu erhalten. Und es gibt kein Wachstum ohne Ressourcenverbrauch. Und Ressourcenverbrauch widerspricht dem Klimaschutz. Ulrike Herrmann hat in ihrem Buch »Das Ende des Kapitalismus« mit dem grünen Wachstum aufgeräumt, das von vielen Politikern postuliert wird. Was bringen die Demonstrationen für Klimaschutz Ihrer Meinung nach?

Anny Hartmann: Wie ich schon sagte: der Kapitalismus ist das Grundübel. Solange wir den nicht überwinden, werden wir den Klimawandel nicht stoppen können. Insofern finde ich die Proteste gut und wichtig – denn wir müssen Druck auf die Regierenden ausüben!
Allerdings fehlt mir bei vielen Klimaschutzdebatten die Kapitalismuskritik.
Kooperation ist langfristig viel erfolgreicher, als kapitalistischer Wettbewerb. Wir müssen unser Wirtschaftssystem dringend ändern, z. B. in eine Gemeinwohlökonomie, sonst werden wir aussterben. Und ein Hinweis an die „Marktjünger“: Der Klimawandel ist das größte Marktversagen, das man sich überhaupt vorstellen kann!

Für wie gerecht halten Sie unsere Demokratie?

Anny Hartmann: Leider momentan für alles andere als gerecht. Sie folgt zu sehr der neoliberalen Ideologie. Der Staat erfüllt seine Aufgaben nicht mehr – viele soziale Aufgaben werden von privaten Freiwilligen übernommen (z. B. Tafeln). Gleichzeitig hat die Wirtschaft zu viel Einfluss auf politische Entscheidungen. Momentan werden Gewinne immer privatisiert und Verluste immer vergesellschaftet (Bankenrettung, Gaspreisbremse etc.). Das zerstört auf Dauer das Vertrauen in die Demokratie – und wir sehen ja weltweit, dass Diktatoren oder Autokraten auf dem Vormarsch sind.

Sie sind eine Befürworterin des bedingungslosen Grundeinkommens. Was finden Sie an der Idee so interessant?

Anny Hartmann: Grundsätzlich finde ich es eine zutiefst humane Idee zu sagen: „weil du bist, darfst du Existenz-angstfrei leben“. Allerdings wird auch diese Idee zunehmend von der neoliberalen Ideologie gekapert und soll nur genutzt werden, Menschen von einer Revolution abzuhalten. Solange alle eine Wohnung und was zu Essen haben, wird sich keiner so schnell auflehnen. Auch hier muss man sagen: der Kapitalismus frisst jede noch so gute Idee, leider.

Bekommen Sie für Ihre klaren Worte auch Gegenwind? Vom Publikum, von Politikern, Lobbyisten oder Wirtschaftsvertretern?

Anny Hartmann: Klar. Aber die Zustimmung überwiegt zum Glück.

In den vergangenen Tagen (Stand: März 2023) gab es Turbulenzen an den Finanzmärkten, weil einige Banken in Schwierigkeiten geraten sind. Die Situation erinnert an die Anfänge der Finanzkrise 2007/2008. Wie schätzen Sie die Lage ein? Kann sich eine ähnliche Finanzkrise wiederholen?

Anny Hartmann: Ach, was soll ich sagen ? Ein System, das uns zwingt, immer wieder auf Kosten der Allgemeinheit Banken zu retten, die sich selbst aus reiner Profitgier in Schwierigkeiten gebracht haben, gehört abgeschafft!

Was würden Sie beruflich machen, wenn Sie nicht als Kabarettistin arbeiten könnten/würden?

Anny Hartmann: Einen Streichelzoo aufmachen und meine beste Kundin sein 🙂 Dafür bräuchte es dann aber wohl doch ein humanes Grundeinkommen.

Und: Ich habe mir gerade Ihre Tourstationen in ganz Deutschland angesehen. Vielleicht sehen wir uns am 24.11.2023 in Dornstetten!

Anny Hartmann: Da würde ich mich freuen und wir könnten nach der Show noch etwas plaudern.

Frau Hartmann, vielen Dank für das Gespräch.

Hinweis: Das Interview mit Frau Hartmann habe ich per E-Mail geführt.

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3 Gedanken zu „Kabarettistin Anny Hartmann im Interview: »Der Kapitalismus ist das Grundübel«“

  1. Vor ein paar Jahren war auch ich ein Verfechter des Grundeinkommens. Aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr Zweifel kommen mir, ob das wirklich eine geeignete Lösung ist.
    Im Moment ist es so, dass den Menschen, die ihre Arbeit verlieren, mit dem Grundeinkommen der Weg in die Selbständigkeit geebnet werden soll. Aber brauchen wir wirklich noch mehr Startups, die sich irgendetwas ausdenken, das sich verkaufen lässt? Das Problem ist doch, dass unser ökologischer Fußabdruck schon dreimal so groß ist, wie er sein sollte. Um den Fußabdruck zu verringern, müsste viel weniger gearbeitet und produziert werden. Deshalb wäre es am besten, wenn die Menschen, die arbeitslos werden, trotzdem ausreichend abgesichert wären. Zum Beispiel nur vormittags arbeiten und sich nachmittags um die Familie kümmern, sich in der Zivilgesellschaft engagieren oder einem Hobby nachgehen. Am besten wäre es, wenn man sich einfach so viel nehmen könnte, wie man wirklich braucht, um ein glückliches Leben führen zu können. So viel ist das gar nicht.
    Ich sehe noch ein anderes Risiko. Wenn die Wirtschaft merkt, dass sich die Menschen mit einem Grundeinkommen abspeisen lassen, dann wird man keine Rücksicht mehr auf den Arbeitsmarkt nehmen. Mit dem Einzug der KI in unser Leben und mit Hilfe der Hochtechnologie ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wirtschaft kaum noch menschliche Arbeit braucht. Irgendwann wird dann die Wirtschaft in den Händen weniger Familien liegen und 11 Milliarden Menschen werden mit einem Grundeinkommen vor sich hin vegetieren.
    Das Problem ist der Markt, der vor 250 Jahren dazu erfunden wurde, um Wachstum zu generieren. Zu etwas anderem taugt der Markt nicht. Das Grundeinkommen kann den Markt nicht abschaffen. Die große Frage, die momentan niemand beantworten kann, ist, wie das überhaupt gehen soll. Und viel Zeit dafür bleibt uns nicht mehr.
    Dabei ist es so einfach. Der Markt besteht aus Waren und Geld. Man muss nur das Element wegnehmen, das am leichtesten zu beseitigen ist.
    Schrecklich dabei ist eigentlich nur die Vorstellung. Auf meiner Website https://LetUsBe.One/d/ mache ich einen etwas provokativen aber sehr unkonventionellen Vorschlag dafür.

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