Am 20. Juni 2023 hat die Deutsche Mark Geburtstag. Sie wäre an diesem Tag 75 Jahre alt geworden. Frank Stocker nahm sich dieses Datum zum Anlass, ein Buch über die ehemalige deutsche Währung zu schreiben. Ein Stück Wirtschafts- und Währungsgeschichte mit Bezug zum aktuellen Geschehen.
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Und: Ich durfte Frank Stocker die Fragen stellen, die ich nach der Lektüre seines Buches hatte. Lesen Sie im Folgenden seine Antworten.
Über das Buch »Die Deutsche Mark«
Der Journalist, Referent und Autor Frank Stocker hat sich nach der Inflation von 1923 in ein anderes, geldpolitisches Thema vertieft: Zum 75. Geburtstag der Deutschen Mark schrieb er ein Buch zur ehemaligen Währung: »Die Deutsche Mark – Wie aus einer Währung ein Mythos wurde«. Es ist im April 2023 im Finanzbuchverlag erschienen.
»Die Deutsche Mark« ist wie »Die Inflation von 1923« akribisch recherchiert und detailreich erzählt. Historische Fakten und Anekdoten mischen sind und werden durch Frank Stockers flüssigen Schreibstil zu einem unterhaltsamen Sachbuch.
Die Ära der D-Mark ist ein Stück Zeitgeschichte – die Nachkriegszeit – wird aus währungspolitischer Sicht erzählt.
Fragen an den Autor Frank Stocker
Sarah Tischer: Die BRD ist nach dem Krieg rasant zu einem »wirtschaftlichen Schwergewicht aufgestiegen« und die D-Mark wurde weltweit nach dem Dollar zur »zweitwichtigsten Währung«. Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptgrund für die Stärke der deutschen Wirtschaft und der Währung?
Frank Stocker: Wir haben das im Wesentlichen drei Akteuren zu verdanken. Zum einen den Amerikanern. Sie setzten durch, dass mit der Währungsreform von 1948 ein harter Währungsschnitt durchgeführt wurde. Das vernichtete den Geldüberhang und verhinderte somit eine Inflation – im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern. Dort gab es ebenfalls meist einen Geldüberhang, aber keinen Währungsschnitt. Das war ein Grund, warum dort die Inflation stets höher war als in Deutschland. Zweitens Ludwig Erhard. Er befreite die westdeutsche Wirtschaft im Zuge der Währungsreform von den Fesseln der bis dahin geltenden Kommandowirtschaft, gab die Preise frei und entfesselte die Marktwirtschaft. Und schließlich die Chefs der Bank deutscher Länder, der Vorgängerin der Bundesbank. Sie ließen sich von Anfang an von niemandem reinreden, weder von den Amerikanern noch später von der Bundesregierung. Es kam deshalb immer wieder zu heftigem Streit, weil ihre Entscheidungen oft den politischen Interessen zuwiderliefen. Doch die Notenbanker blieben stur, pochten auf ihre Unabhängigkeit und trugen somit von Anfang an entscheidend zur Stabilität der D-Mark bei.
Warum hat der Währungsschnitt von 1948 eine Inflation verhindert? Und führte das auch zu einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung?
Frank Stocker: Der Währungsschnitt war notwendig, weil es einen massiven Geldüberhang gab. Dieser war entstanden, weil die Wirtschaftskraft seit 1944 drastisch eingebrochen war, die Geldmenge von 1933 bis 1945 durch die Nazis jedoch aufgebläht worden war. Dieses Missverhältnis konnte entweder durch eine drastische Inflation, vielleicht sogar eine Hyperinflation, ausgeglichen werden, oder eben durch eine Vernichtung des Geldüberhangs mit Hilfe eines Währungsschnitts. Letzteres war sicher die sauberere Lösung. Zu einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung hat das aber nicht geführt – im Gegenteil. Jene, die Sachwerte besaßen, deren Immobilie, deren Unternehmen oder deren landwirtschaftlicher Betrieb nicht zerstört war, waren davon nicht betroffen. Deshalb mussten sie später in den Lastenausgleich einzahlen, der denjenigen zugute kam, die alles verloren hatten, beispielsweise den Ausgebombten oder den Millionen Flüchtlingen. Das glich letztlich aber nur einen Bruchteil ihrer Verluste aus.
Könnte ein Währungsschnitt heute noch so verlaufen, insbesondere da sich die Zeiten geändert haben und elektronisches Geld den Großteil des Geldbestandes ausmacht?
Frank Stocker: Ich sehe heute keine Notwendigkeit für einen Währungsschnitt. Die Geldmenge ist zwar in den vergangenen 20 Jahren deutlich schneller gewachsen als die Wirtschaft, aber der Überhang ist nicht so groß, dass es eines Währungsschnitts bedürfte. Das kann über klassische Instrumente der Geldpolitik geregelt werden, und das macht die EZB derzeit ja auch, die Geldmenge sinkt seit einigen Monaten. Und rein technisch betrachtet: Ich sehe keinen großen Unterschied, ob Geld in Form von Papiergeld oder elektronisch gehortet wird. Beides kann theoretisch vom Staat mit einem Federstrich für wertlos erklärt werden. Anders ist das nur bei Geld, das auf Gold basiert.
Sie schreiben: »Adenauer hielt politische Erwägungen für wichtiger als die Stabilität einer Währung, selbst unmittelbar nach der größten Geldkatastrophe, die die Deutschen bis Dato erlebt hatten« (Anmerkung: Damit ist die Inflation von 1923 gemeint). Sprich, er lehnte die Unabhängigkeit der Notenbanken ab. Liegt es nicht nahe, dass Politiker den Bürgern durch die Notenpresse finanzierte Wahlgeschenke machen, um Stimmen zu bekommen? Liegt es nicht am System, und es ist nur logisch, dass Politiker so handeln? Kann eine Demokratie Ihrer Meinung nach auf dieser Basis funktionieren?
Frank Stocker: Das Grundgesetz gibt dem Bundeskanzler die Richtlinienkompetenz, und Adenauer war der Meinung, dass dies auch für die Geldpolitik zu gelten habe, da diese schließlich eine enorme Bedeutung für den politischen und wirtschaftlichen Weg eines Landes hat. Rein demokratietheoretisch hatte er damit natürlich recht – warum sollten irgendwelche ungewählten Männer oder Frauen solche gewichtigen Entscheidungen treffen? Aber aus den von Ihnen genannten Gründen ergibt es natürlich gerade Sinn, diese Entscheidungen nicht Politikern zu überlassen. Zumal die Geschichte ganz klar zeigt, dass sich die schlimmsten Inflationen immer dann ereigneten, wenn die Notenbank nicht unabhängig war. Das war vor 100 Jahren im Falle der deutschen Hyperinflation so, und das ist aktuell beispielsweise in der Türkei so, wo die Notenbank praktisch zum Kommandoempfänger von Präsident Erdogan geworden ist. Zum Glück hat sich daher nach dem Krieg bei der Bundesbank das Prinzip der Unabhängigkeit durchgesetzt, gegen Adenauers Willen, und später dann auch bei der EZB.
Da würde ich gerne nachhalen. Sie schreiben, dass die EZB unabhängig sei. In der Theorie ist das so, so ist der Euro konzipiert, da gebe ich Ihnen recht. Kann man Ihrer Meinung nach eine Zentralbank wie die EZB heutzutage noch als unabhängig bezeichnen, wenn Sie seit Jahren massiv Staatsanleihen aufkauft? Und sich zum Ziel gesetzt hat, den Klimawandel durch Gelddrucken zu bekämpfen? Ich habe so meine Probleme, die EZB vor diesem Hintergrund noch als unabhängig zu bezeichnen?
Frank Stocker: Grundsätzlich gibt es wohl keine absolute Unabhängigkeit irgendeiner Notenbank. Alle stehen stets im Kontext und im Austausch mit Politik und Wirtschaft, das galt auch für die Bundesbank, sogar formal. Paragraf 12 des Bundesbankgesetzes lautet: »Die Deutsche Bundesbank ist verpflichtet, unter Wahrung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu unterstützen. Sie ist bei der Ausübung der Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen, von Weisungen der Bundesregierung unabhängig.« In der Praxis hat die Bundesbank zwar oft gegen die Interessen der Politik gehandelt, dadurch ihre Unabhängigkeit demonstriert, sie hat aber oft auch im Einklang mit der Politik gehandelt, und oft übrigens auch im Sinne der Wirtschaft. So verstärkte sie beispielsweise 1965 bewusst die drohende Rezession, weil es in weiten Teilen der Wirtschaft die Überzeugung gab, dass es mal eines Dämpfers für die Gewerkschaften bedürfe. Da handelte sie auch nicht ganz unabhängig. Ähnlich bewegt sich auch die EZB nicht losgelöst von äußeren Einflüssen, und dass diese Einflüsse, insbesondere aus der Politik, über die vergangenen Jahre größer geworden sind, ist offensichtlich. Andererseits hat sie gerade in den vergangenen Monaten auch gezeigt, dass sie zuallererst dem Ziel der Währungsstabilität verpflichtet ist, und sie hat daher die Zinsen drastisch erhöht, obwohl das ganz sicher nicht im Sinne der europäischen Finanzminister war. Ihr die Unabhängigkeit abzusprechen, halte ich daher für übertrieben. Es ist wohl eher so, dass es im Verhältnis zwischen Politik und Notenbank stets Phasen einer größeren und einer geringeren Nähe gibt. Zuletzt war sie eher größer, und ich hoffe, dass sie künftig wieder geringer wird. Dazu sollte sie insbesondere aufhören zu glauben, sie sei für die Bekämpfung des Klimawandels zuständig, da stimme ich voll zu.
Besteht in einem System der freien Wechselkurse nicht für jede Währung ein permanenter Abwertungsdruck (eine schwächere Währung erleichtert die Exporte und kurbelt somit das Wirtschaftswachstum an) und eine Abwertungsspirale? Konnte man das in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg mit zunehmender Globalisierung beobachten?
Frank Stocker: Auf den ersten Blick erscheint das logisch, doch gerade die Nachkriegszeit hat gezeigt, dass das eine Fehlkalkulation ist: Die Deutsche Mark befand sich ab 1951 jahrzehntelang unter einem permanenten Aufwertungsdruck, und das führte nicht etwa dazu, dass die deutschen Exporte zurückgingen. Vielmehr nahmen sie immer weiter zu. Der Grund ist, dass der Aufwertungsdruck die Unternehmen zwingt, produktiver zu werden. Das macht ihre Produkte letztlich besser und somit wettbewerbsfähiger. Denn es kommt im internationalen Handel nicht nur auf den Preis an, sondern ebenso auf die Qualität.
Der damalige US-Präsident Nixon hielt 1971 eine Rede, die das Ende des Bretton Woods Systems (in diesem System gab es feste Wechselkurse und ein fixes Tauschverhältnis zwischen Gold und dem US-Dollar) besiegelte. Nixon sagte zu Krisen: »Gewinner sind die internationalen Geldspekulanten. Weil sie von Krisen leben, helfen sie, sie zu erschaffen.« Drücken sich Kritiker des Finanzsystems nicht 50 Jahre später ähnlich aus? Hat sich was geändert?
Frank Stocker: Die Krise des Bretton Woods Systems wurde ganz sicher nicht von Spekulanten verursacht, sondern durch die US-Regierung, die in den 60er Jahren immer größere Sozialprogramme sowie den Vietnam-Krieg auf Pump finanzierte und so den Wert des Dollar aushöhlte. Aber Nixon kaschierte das eben geschickt durch diese Schuldzuweisung an die Spekulanten. Ähnliches sehen wir immer wieder, selbst die Hyperinflation von 1923 wurde nach einer damals weit verbreiteten Ansicht von Wucherern und Spekulanten verursacht. Das ist nun mal ein populistischer Topos, der gerne ins Feld geführt wird, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Wahrer wird er damit nicht.
Sie schreiben im Schlusswort Ihres Buches, dass, wenn es noch eine eigene deutsche Währung und keine europäische Gemeinschaftswährung gäbe, die Deutsche Bundesbank wohl auch nicht ohne Rücksicht auf andere europäische Länder agieren könnte. Hat die Einführung des Euro dann womöglich gar nicht so große Auswirkungen auf die Zentralbankpolitik wie gemeinhin angenommen?
Frank Stocker: Die D-Mark wäre heute so dominant in Europa, dass die Bundesbank in ihrer Geldpolitik nicht umhin könnte, auf die anderen europäischen Länder Rücksicht zu nehmen. Täte sie das nicht, sondern würde einfach über alle anderen hinweg eine rein deutschlandzentrierte Geldpolitik machen, würde das Gegenbewegungen auslösen, vielleicht ein europaweites antideutsches Bündnis schaffen. Das könnte keiner wollen. Daher hätte auch eine Bundesbank in einer Welt ohne Euro in den vergangenen Jahren massiv Geld gedruckt oder hätte die Zinsen unter Null gedrückt. Sie würde kaum anders agieren als die EZB heute.
Wie stehen Sie zur Europäischen Währungsunion? War diese durch die Nicht-Einhaltung der Maastrichter Kriterien nicht von Anfang an zum Scheitern verurteilt? Glauben Sie an die Zukunft des Euro?
Frank Stocker: Der Euro ist nicht gescheitert. Das wäre er, wenn es ihn nicht mehr gäbe oder wenn der Geldwert in einer Hyperinflation zerstört worden wäre. Beides ist nicht der Fall. Wir sollten uns auch nicht an der Frage abarbeiten, ob und wie lange der Euro überleben wird. Wir sollten vielmehr daran arbeiten, dass er langfristig stark und stabil bleibt. Die Alternative wäre schließlich eine Welt, in der es nur noch den Dollar und vielleicht noch den Yuan als hegemoniale Leitwährungen gibt. Wollen wir das? Europa mit seiner schrumpfenden Bevölkerung und der nachlassenden wirtschaftlichen Bedeutung in der Welt kann nur gemeinsam überhaupt noch eine Rolle spielen. Entweder wir schaffen es gemeinsam, oder wir werden zum Spielball der anderen. Bei allem Streit um den richtigen Weg in der europäischen Finanz- und Geldpolitik sollten wir das stets im Hinterkopf haben.
Vielen Dank, dass ich Ihnen meine Fragen stellen durfte, Herr Stocker.
Hinweis: Das Interview mit Frank Stocker habe ich per E-Mail geführt.