Dokutipp: »Ungleichland« – Wie viel mehr Ungleichheit können wir noch verkraften?

Szene aus der WDR-Dokumentation Ungleichland

2018 veröffentlichte der WDR eine dokumentarischen Serie namens Ungleichland. Die Dokumentation kann man sich auf Netflix ansehen. Alternativ sind die drei jeweils 45-minütigen Teile auf YouTube verfügbar (hier geht es zum 1. Teil: So ist das Leben eines deutschen Millionärs – Ungleichland (1/3): Reichtum | WDR Doku).

Schaubild über ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland
Die ungleiche Vermögensverteilung in Deutschland- Schaubild aus der WDR-Dokumentation Ungleichland (Foto: Screenshot)

Es geht um zunehmende Ungleichheit. In Deutschland. Europa. Der globalisierten Welt.

Die Protagonisten: Vom Selfmade-Milliardär über die Mittelstandsfamilie bis zum Dynastie-Erben

Ein Protagonist der Dokumentation ist der Bauunternehmer Christoph Gröner. Er steht für den (erfolg-)reichen Unternehmer, der es geschafft hat. Er hat sich hochgearbeitet und arbeitet immer noch fast pausenlos, wie er selbst betont. Gröners Wachmann darf auch ein paar Worte sagen. Klar, dass Gröner polarisiert. Egal wie man ihn findet: Man muss es Christoph Gröner anrechnen, dass er im Rahmen der Doku Einblicke in sein Leben gibt.

Stellvertretend für den Mittelstand wird eine junge Familie aus Leipzig portraitiert. Sie träumt davon, eine Wohnung zu kaufen. Der Traum platzt, als der Familienvater seine Arbeit verliert (Der Grund: sein Arbeitsplatz wird ausgelagert). Die Familie steht stellvertretend für den schwindenden Mittelstand. Menschen, die Zukunftssorgen haben. Gut ausgebildete Menschen, die arbeiten, und sich keine Immobilie mehr leisten können. In der Dokumentation wird treffend gesagt: »Der Immobilienmarkt zeigt die Symptome: Während die oben Gewinne machen, können sich die unten Wohnraum in der Stadt kaum mehr leisten.« Zur Erinnerung: Die Doku stammt aus dem Jahr 2018. In den letzten drei Jahren sind die Immobilienpreise ungebremst weiter gestiegen.

Schließlich kommt der Dynastie-Erbe zu Wort, der damit beschäftigt ist, sein eigenes Vermögen und das von anderen zu verwalten. Er findet, es gehe in Deutschland »im Großen und Ganzen gerecht zu«. Die Ungerechtigkeit, die Menschen auf der Straße spüren, könne er nicht nachempfinden.

Experten kommen zu Wort

Neben den Szenen aus dem Leben der Portraitierten, kommen Ökonomen zu Wort, die zum Thema Ungleichheit und Vermögensverteilung forschen. Es sind kluge, warnende Stimmen.

»Ungleichheit sorgt dafür, dass sich die Menschen voneinander entfernen. Ungleichheit treibt uns auseinander«, sagt Paul Piff, Psychologe an der University of California.

Brooke Harrington, Soziologin an der Copenhagen Business School, meint, dass Ungleichheit nicht grundsätzlich schlecht sei. Sie sieht jedoch Probleme im Finanzsystem: »In der modernen kapitalistischen Investmentgesellschaft hat es einen massiven Wechsel von Arbeit hin zu Investment gegeben. Man nennt das Finanzialisierung.« Später wird in der Dokumentation anschaulich aufgezeigt, dass 2017 das globale Finanzvermögen fast viermal so hoch wie das Realvermögen war.

Schaubild aus der WDR-Dokumentation Ungleichland
Das globale Finanzvermögen war bereits 2017 viermal so hoch wie das Realvermögen. Zeigt das die Verwerfungen unseres Finanz- und Wirtschaftssystem auf? Schaubild aus der WDR-Dokumentation Ungleichland (Foto: Screenshot)

Harrington hat selbst eine Ausbildung zur Vermögensverwalterin gemacht, um die Abläufe besser zu verstehen. Sie bemängelt, dass der Zusammenhang zwischen Arbeit und Geld zunehmend verloren gehe: »Heute wird man reich, wenn man von seinem Kapital lebt […] Zur richtigen Zeit am richtigen Ort investiert.« (siehe Artikel auf die-volkswirtin.de: Sinn und Wert der Arbeit: »Bullshit Jobs« von David Graeber)

Branko Milanovic, ehemaliger Chefökonom der Weltbank sagt: »Aus der Geschichte haben wir gelernt: Wir dürfen nicht zusehen, wie diese Ungleichheit immer weiter zunimmt. Sonst bleibt nur eine Lösung: eine zerstörerische.«

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Lösungen? Sind schwer.

Ein Fazit: Große (Finanz-)Konzerne haben unglaublich viel Macht. So heißt es in der Doku: »Es entsteht das ungute Gefühl, dass es nicht die Politik ist, die die Regeln schreibt. Eine Form des Protestes: Die Menschen wenden sich von der Politik ab.«

Einfache Lösungen gibt es keine. Da sind wir uns alle einig. Daher sind simple populistische Forderungen und Nationalismus keine Lösung.

Aber was sind Lösungsansätze? Darauf liegt in der Doku nicht der Fokus. Ein paar Vorschläge werden in der letzten Filmminute in den Raum geworfen. Unter dem Hashtag #ungleichland wurden online Lösungsvorschläge gesucht. Der zugehörige Twitter- und Facebook-Account der Doku existiert nicht mehr, die Diskussion ist verebbt. Auf der Website des WDR gibt es einzelne Vorschläge und Interviews. Das Fazit lautet viel mehr: Wir sind ziemlich machtlos, dass einzelne Akteure, oft in der Immobilien- und Finanzwelt, immer mehr Vermögen anhäufen. Sogar die Politik ist es.

Die Lage ist prekär, wenn man bedenkt, dass seit der Dokumentation drei Jahre vergangen sind. Und dass die Schere zwischenzeitlich weiter auseinander gegangen ist: Das bestätigt ein Datenreport zur Ungleichheit aus dem Jahr 2021 von Forschern des Wissenschaftszentrums Berlin und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, zusammen mit dem Statistischen Bundesamt und dem Soziooekonomischen Panel, wie die Süddeutsche Zeitung im März 2021 berichtete.

Fazit zu Ungleichland

Die dreiteilige Dokumentation ist sehenswert, auch wenn sie schon drei Jahre alt ist. Sie ist vielschichtig und gibt sich nicht mit der plakativen Aussage zufrieden: »Der Sozialismus hat nicht funktioniert, also brauchen wir Kapitalismus. Ungleichheit hin oder her.«

Es werden vielmehr Symptome und Verwerfungen unseres Systems aufgezeigt: Finanzkapitalismus, Globalisierung, die Macht von großen Konzernen und Einzelpersonen dahinter (Geldpolitik und steigende Verschuldung werden nicht angesprochen). Es krankt.

Man fragt sich: Wie viel mehr Ungleichheit kann unser Land respektive unsere Welt noch verkraften?

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