Buchtipps: Richard Brox über Obdachlosigkeit

Bücher von Richard Brox über Obdachlosigkeit

Die Ungleichheit in Deutschland nimmt zu. Man mag argumentieren, dass die Situation in Ländern ohne ausgeprägtes Sozialsystem, beispielsweise in den USA, viel höher sei, aber dennoch: Auch Deutschland ist ein Land der sozialen Gegensätze. Die Zahl an extrem reichen Menschen steigt ebenso wie die Zahl an extrem armen Menschen – und damit die Obdachlosigkeit.

In Deutschland gibt es 237 Milliardäre (Stand 2023). Kürzlich empfahl die Volkswirtin eine ZDF-Doku über Superreiche.

In diesem Beitrag geht es um die ärmsten Menschen der Gesellschaft. Richard Brox berichtet in zwei Büchern über Obdachlosigkeit, auch aus eigener Erfahrung. Die Volkswirtin hat sie gelesen, nachdem sie im SWR1-Leute-Interview (in der Mediathek kann man es hören und sehen) auf Richard Brox aufmerksam geworden ist.

Bücher von Richard Brox über Obdachlosigkeit

Zahlen zur Obdachlosigkeit

Den 237 Milliardären stehen in Deutschland 260.000 Wohnungslose gegenüber (laut Schätzung aus dem Wohnungslosenbericht der Bundesregierung). Darunter fallen Menschen, die keinen Mietvertrag haben und keine eigene Wohnung besitzen. Sie haben ein »fremdes« Dach über dem Kopf, wohnen bei Freunden, sind Couchsurfer, leben in kommunalen Einrichtungen, Frauen- oder Jugendhäusern. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren angestiegen. Circa 45.000 von ihnen sind obdachlos. Obdachlose sind Menschen, die auf der Straße leben – oder in Parks, Abbruchhäusern etc.

Die Bücher von Richard Brox

Richard Brox hat über 30 Jahre auf der Straße gelebt. Heute hat er einen Wohnsitz und setzt sich selbst für das Wohlergehen von Obdachlosen ein. Richard Brox veröffentlichte 2018 seine Biographie. 2023 erschien ein weiteres Buch mit Portraits von Obdachlosen, das er herausgegeben an.

»Kein Dach über dem Leben« von Richard Brox

Die Biographie von Richard Brox

Eine Lebensgeschichte wie die von Richard Brox nimmt einen mit. Dieser Mann hat (zu) viel Schlimmes erlebt. In »Kein Dach über dem Leben – Biographie eines Obdachlosen« erzählt er davon. Das Buch erschien 2018 im Rowohlt Verlag mit den Co-Autoren Dirk Kästel (Recherche) und Albrecht Kieser (Text).

Die Geschichte von Richard Brox ist die eines Obdachlosen unter vielen. Sie gibt Einblicke in das harte Leben eines Menschen ohne festen Wohnsitz. Zudem zeigt sie exemplarisch Gründe, wie es dazu kommen kann, dass jemand in diese Situation gerät.

»Warum gab es uns überhaupt?! Ja, warum gab es uns? Weil manche straucheln und fallen, ganz einfach. Und andere auf gemeinste Weise zu Fall gebracht werden. Und weil man sie nicht am Wegesrand liegen lassen darf, wenn man sich Mensch nicht und eine Gesellschaft menschlich.«

Richard Brox

Nur so viel sei zur Lebensgeschichte des Autors gesagt: Seine Eltern waren KZ-Überlebende des Zweiten Weltkrieges und traumatisiert. Unfähig, dem kleinen Richard ein geborgenes, liebevolles Elternhaus zu bieten. In Kinderheimen erlebte er Gewalt und Missbrauch. Bald spielten Drogen eine Rolle in seinem Leben. Die Eltern verstarben früh. Daraufhin verlor er die Wohnung, in der seine Eltern gelebt hatten, und Richard Brox war ohne Obdach.

Die Biographie ist gut geschrieben, der Inhalt oft traurig und grausam. Dennoch eine lohnenswerte Biographie, die sensibilisiert:

»Viele von uns waren schlicht und einfach fertig und kaputt, sie flohen vor diesen Zumutungen, fielen durch alle sozialen Netze und schlugen sich ohne jede staatliche Hilfe durchs Leben. Auf der Straße wurde es nach den Hartz-IV-Gesetzen noch rauer, brutaler und gnadenloser.«

Richard Brox

Richard Brox ist Autor des Blogs »Ohne Wohnung – was nun«. Dort gibt er Obdachlosen Tipps und hat Unterkünfte aufgelistet. Ebenso sagt er, wie andere helfen können. Der Blog entstand, nachdem Richard Brox vor Jahrzehnten durch Zufall in einem Internet-Café landete und über das neue Medium Internet aufgeklärt wurde. Eigentlich wollte er sich dort nur wärmen.

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Günter Walraff wurde durch den Blog auf Richard Brox aufmerksam. Der Journalist nahm im Zuge der Recherche für die Reportage »Unter Null« Kontakt mit Richard Brox auf – es entstand eine Art Freundschaft. Das Vorwort der Biographie hat Günter Walraff geschrieben.

»Deutschland ohne Dach« von Richard Brox

Obdachlosigkeit - Portraits von Obdachlosen

In »Deutschland ohne Dach – die neue Obdachlosigkeit« erzählen einige (ehemals) Obdachlose ihre Geschichte.

Herausgegeben wurde das Buch von Richard Brox mit Syliva Rizvi und Albrecht Kieser, wieder gibt es ein Vorwort von Günter Walraff. Das Buch erschien 2023 im Rowohlt Verlag.

Obdachlosigkeit hat viele Gesichter. Dafür stehen die Menschen, die auf dem Buchcover abgebildet sind. Auch Geflüchtete und eine transsexuelle Frau kommen zu Wort. Ihre Geschichten sind individuell.  

Jedoch gibt es gewisse Parallelen. Oft wurzelt das Nicht-Klarkommen im Leben bzw. im Sozialsystem im Elternhaus. Dort gab es Defizite, wenig Liebe und Aufmerksamkeit oder gar Gewalt und Missbrauch. Dies scheint in einer Beziehungsunfähigkeit zu resultieren. Drogen und Süchte sind oftmals ein Thema. Trotz mancher Chance (wie einer wohlmeinenden Pflegefamilie) haben viele der Betroffenen Probleme, in Strukturen zurechtzukommen.

Und wovon immer wieder die Rede ist: Freiheit. Den Problemen, sich in Systeme einzufügen und Beziehungen zu führen, steht ein Freiheitsdrang gegenüber. Die Menschen aus dem Buch finden diese Freiheit auf der Straße.

Auf der anderen Seite steht die Brutalität des Lebens auf der Straße. Die Härte. Die Kälte. Die Gewalt. Die Hilflosigkeit.

Auch »Deutschland ohne Dach« ist gut und spannend geschrieben. Das Buch informiert und alarmiert. Es macht auch etwas ängstlich, denn es wird klar: Obdachlosigkeit kann jeden von uns treffen, auch Menschen, die einmal »mitten im Leben standen« und gutes Geld verdient haben.

Fazit zu den Büchern

Mich haben die Geschichten über Obdachlosigkeit nicht unberührt gelassen. Wie bei vielen Themen, entsteht bei mir nach solch einer Lektüre ein großer Diskussionsbedarf. Warum gibt es so viele Obdachlose? Was kann man tun?

Zentral ist die Erkenntnis, dass ein Elternhaus, in dem es geregelt zugeht und die Kinder geliebt und akzeptiert werden, einen wichtigen Grundstein für das Leben legt. Und was irreparabel kaputtgehen kann, wenn Kinder dies nicht bekommen, sondern Gewalt und Missbrauch erleben. Das Risiko ist höher, dass diese Kinder später auf der Straße landen. Auch wenn es nicht bedeuten musss, dass es zwangsweise so ist. Auch Kinder aus behüteten Elternhäusern können »auf die schiefe Bahn geraten«.

Und noch eine Erkenntnis: Obdachlose sind nicht weniger intelligent. Im Gegenteil: Oft sind es Menschen, die viel nachdenken, viel hinterfragen, einen großen Freiheitsdrang haben und sich gegen das System stellen. Auch das lässt mich nicht kalt.

Die Lektüre des Buches bestärkt einen darin, das Gespräch mit Obdachlosen zu suchen und nicht wegzuschauen. Und seien es nur kleine Gesten.

Die politische Komponente von Obdachlosigkeit und Lösungsansätze

Zurück zu den großen Zahlen und der Politik. Die zunehmende Obdachlosigkeit ist auch ein politisches Thema. Bereits im Vorwort von »Deutschland ohne Dach« spricht Günter Walraff die zunehmende Ungleichheit in Deutschland an. Ebenso, im Jahr 2023 hochaktuell, das Sondervermögen der Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro. Mit diesem Geld käme man weit, um die Obdachlosigkeit zu bekämpfen und dem Recht auf Wohnen nachzukommen, so Walraff.

Doch wo ansetzen? Der Lösungsansatz, den Richard Brox am Ende des Buches formuliert, lautet »Housing first«. Das Prinzip fasst er so zusammen: »Man gebe den Obdachlosen zur Behebung ihrer Wohnungslosigkeit erst eine Wohnung.«

Aktuell müssen Menschen gemeldet sein, um Sozialleistungen zu beziehen. Doch gemeldet zu sein, also ein Obdach bzw. eine Wohnung zu haben, ist ohne Geld schwierig. Dies macht es vielen Obdachlosen schwer, sich aus ihrer Situation zu befreien. In den Büchern berichten Obdachlose immer wieder davon, von Behörde zu Behörde geschickt worden zu sein, von bürokratischen Hürden, unwürdiger Behandlung und sonstigen Unwegbarkeiten.

Das Problem der Obdachlosigkeit ist vielschichtig und beginnt oft schon im Kindesalter. Der Staat kann Defizite in Elternhäusern nicht komplett ausgleichen. Ebenso erfährt man durch die geschilderten Schicksale, dass es nicht einfach ist, Menschen von der Straße in eine »normales«, geregeltes Leben zu verhelfen.

Warum nicht unbürokratisch mehr Wohnraum zur Verfügung stellen? Der von Richard Brox geforderte Ansatz klingt plausibel.

Und was das Finanzielle angeht: Wenn Geld für Sondervermögen oder für die Rettung von Banken zur Verfügung steht – warum muss dann über jeden Cent für Bedürftige so hart diskutiert werden? In unserem aktuellen System, in dem selbst Deutschland nicht sparen sollte (den Grund kann man in diesem Artikel nachlesen), könnte man sich mehr um Bedürftige, ja auch um Menschen ohne Wohnung kümmern. Beispielsweise indem man darauf hört, was Betroffene wie Richard Brox sagen.

Mit mehr Wohnraum wäre es sicherlich nicht getan. Oft benötigen Menschen auch psychologische und andere Unterstützung. Das Problem der Obdachlosigkeit kann nicht von heute auf morgen und nicht für alle Betroffenen gelöst werden. Es wären jedoch Schritte in die richtige Richtung möglich.

Brox, Richard: Kein Dach über dem Leben. Rowohlt. Taschenbuch. 2017. ISBN  9783499632945. 12,00 €.

Brox, Richard: Deutschland ohne Dach. Rowohlt. Taschenbuch. 2023. ISBN 9783499011405. 12,00 €.

Die Bücher wurden mir als Rezensionsexemplar vom Verlag zur Verfügung gestellt.

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