Ruth Herold im Interview über den Beruf der Hebamme

Ruth Herold ist Hebamme. Da man immer wieder von einem Hebammenmangel, schlechter Bezahlung und unbezahlbaren Haftpflichtversicherungen hört, habe ich bei ihr nachgefragt, was es damit auf sich hat. Lesen Sie selbst im Folgenden das aufschlussreiche Interview mit Ruth Herold.

Die Hebamme Ruth Herold
Ruth Herold (Foto: privat)

Über Ruth Herold

Ruth Herold ist Hebamme und arbeitet in Engen und der Umgebung. Sie bietet Geburtsvorbereitungskurse, vorgeburtliche Bindungsförderung und -analyse und eine Hebammensprechstunde an. Mehr Informationen zu ihr und ihrem Angebot findet man auf ruth-herold.de. Auf dem Instagram-Kanal @finde.sicherheit.in.dir schreibt Ruth kenntnisreich und liebevoll über die Themen Geburtsvorbereitung, Geburt, Bindung, Bedürfnisse von Babys und Eltern, Achtsamkeit und Vieles mehr.

Ich habe Ruth kennengelernt, als sie in der Black Forest Lodge zu Gast war. Seit ich selbst Mutter geworden bin, habe ich noch mehr Respekt vor dem vielseitigen und verantwortungsvollen Hebammenberuf. Da man immer wieder von einem Hebammenmangel, schlechter Bezahlung und unbezahlbaren Haftpflichtversicherungen hört, habe ich die Gelegenheit genutzt, Ruth einige Fragen zu stellen. Lesen Sie selbst im Folgenden das aufschlussreiche Interview über den Beruf der Hebamme und die Rahmenbedingungen.

Interview mit Ruth Herold

Sarah Tischer: Wie sind Sie zum Hebammenberuf gekommen? Was gefällt Ihnen an dem Beruf?

Ruth Herold: Der Hebammenberuf hat mich schon sehr früh fasziniert. Es hat jedoch eine ganze Weile gedauert, bis ich mir zugetraut habe, selbst Hebamme zu werden. Ich hatte die Vorstellung, dass man nur Hebamme sein kann, wenn man eine absolut großartige, weise Frau ist. Diesem Anspruch konnte ich mit Anfang 20 selbstverständlich nicht genügen. Erst als ich andere »ganz normale« junge Frauen kennengelernt habe, die gerade in der Ausbildung zur Hebamme waren, habe ich es gewagt, auch selbst diesen Weg einzuschlagen.

Was mir am Hebammenberuf gefällt, ist, dass ich Frauen, Paare und Familien in dieser besonderen Lebensphase von Schwangerschaft, Geburt und Elternwerden so nah begleiten darf. Wenn ein neuer Mensch auf die Welt kommt, verändert sich für die Eltern alles. Das bringt natürlich viele Fragen und oft auch Unsicherheiten und Ängste mit sich. Ich sehe meine Aufgabe darin, Eltern zu bestärken und zu ermutigen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass alles, was man an Fähigkeiten braucht, um ein Kind auszutragen, zu gebären und großzuziehen, in uns vorhanden ist. Wir haben vielleicht den Zugang dazu verloren, aber im Grunde ist alles da. Mit meiner Arbeit möchte ich Frauen und Paaren helfen, da wieder den Zugang zu finden, damit sie sicher und selbstbestimmt ihren Weg gehen können.

Man hört derzeit oft, dass Hebammen fehlen. Immer wieder wird als einer der Gründe angeführt, dass die Haftpflichtversicherung für Hebammen so teuer sei, dass es finanziell keinen Sinn ergebe, den Beruf auszuüben. Stimmt das mit der Versicherung? Wie sind Ihre Erfahrungen?

Ruth Herold: Ja, die finanzielle Seite des Hebammenberufs ist wirklich eine Katastrophe. Die Geschichte mit der Haftpflichtversicherung ist nur die Spitze des Eisbergs, denn sie betrifft vor allem die Hebammen, die auch außerklinische Geburtshilfe anbieten und Beleghebammen. Für die Haftpflichtversicherung gibt es mit den Krankenkassen eine Regelung, die das Schlimmste abpuffert. Aber auch alle anderen Hebammenleistungen werden unterirdisch schlecht vergütet. Unterm Strich bleibt da ein »Stundenlohn« von ca. 7,50 €. Das ist weniger als der Mindestlohn, und das für eine so wichtige und verantwortungsvolle Arbeit, wo entscheidende Weichen fürs ganze Leben gestellt werden. Es ist unfassbar, dass das in unserer Gesellschaft so einen geringen Stellenwert hat.

Sie haben Jahrzehnte als Hebamme gearbeitet, das klassische Hebammendasein vor wenigen Jahren jedoch an den Nagel gehängt. Was waren die Gründe hierfür und was genau machen Sie jetzt?

Ruth Herold: Es stimmt nicht ganz, dass ich die klassische Hebammenarbeit komplett an den Nagel gehängt habe. Ich habe meine Angebotspalette jedoch drastisch reduziert, weil das Pensum der Rundum-Betreuung, die es viele Jahre bei mir gab, für mich kräftemäßig nicht mehr zu schaffen war. Die schwierigen Rahmenbedingungen haben da auf jeden Fall stark dazu beigetragen. Außerdem habe ich mich in den letzten Jahren weitergebildet und spezialisiert auf die Bindungsförderung in der Schwangerschaft und die traumasensible Begleitung. Dadurch, dass ich die klassische Hebammenarbeit reduziert habe, habe ich nun auch die notwendigen Kapazitäten, um diese speziellen Schwerpunkte anbieten zu können. Aktuell sind das Geburtsvorbereitungskurse, die Begleitung von Schwangeren mit der Bindungsanalyse und meine Sprechstunde für Themen und Anliegen, die über die »normale« Hebammenbetreuung hinausgehen, z.B. wenn Babys sehr viel weinen, wenn es Schlafprobleme gibt, oder auch das Aufarbeiten einer schwierigen Geburtserfahrung, und vieles mehr…

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Die Arbeit einer Hebamme ist sehr verantwortungsvoll. Die Bezahlung nicht unbedingt angemessen. Was ist das größte Problem: die schlechte Bezahlung, die Rahmenbedingungen oder so etwas wie mangelnde Wertschätzung? Oder ist es eine Kombination aus allem?

Ruth Herold: Die Wertschätzung der betreuten Frauen und Familien ist riesig. So habe ich das zumindest immer erlebt. Wenn diese Wertschätzung sich auch auf der finanziellen Ebene widerspiegeln würde, sähe vermutlich vieles anders aus. Denn eigentlich gibt es ja genug Hebammen. Der Mangel ist dadurch entstanden, dass so viele Kolleginnen ganz oder teilweise aus dem Beruf ausgestiegen sind, weil sie unter diesen Bedingungen nicht mehr arbeiten wollen oder können. Dadurch verschlechtern sich die Rahmenbedingungen für die andern noch mehr. Die Folgen sind: Personalmangel in den Kliniken und freiberufliche Hebammen in der Wochenbettbetreuung, die völlig am Limit arbeiten, weil sie versuchen, diesen Notstand irgendwie zu kompensieren. Insofern würde ich schon sagen, dass eine angemessene Bezahlung der Schlüssel wäre für eine nachhaltige Verbesserung der Situation. Ich würde sogar eine Wette abschließen, dass viele Hebammen dann wieder in den Beruf zurückkehren würden. Denn die meisten Hebammen ergreifen diesen Beruf nicht, um reich zu werden, das weiß man schon von Anfang an. Hebamme ist ein Herzensberuf. Aber mit einem gut verträglichen Arbeitspensum davon leben und eine Familie ernähren können, das sollte schon das Mindeste sein.

Was macht eine Frau, die keine Hebamme findet? Haben Sie so etwas schon einmal mitbekommen?

Ruth Herold: Ja klar, das bekomme ich immer wieder mit. Manche Frauen schlagen sich dann irgendwie alleine durch, machen gehen häufiger zum Arzt, was ja eigentlich nicht Sinn der Sache ist. Ich vermute, dass vor allem bei Stillproblemen häufiger abgestillt wird, wenn die notwendige Unterstützung fehlt. Und manche Frauen vernetzen sich auch untereinander und unterstützen sich gegenseitig. Oder sie gönnen sich die Begleitung einer Doula, wenn das möglich ist.
Inzwischen gibt es auch immer mehr Hebammenambulanzen, wo die Frauen hingehen können. So sparen sich die Hebammen die Fahrzeit, die bei den Hausbesuchen ja auch noch anfällt, und für die Frauen ist es zumindest besser als gar keine Hebammenbetreuung.

Sehen Sie Möglichkeiten, die Bedingungen für Hebammen zu verbessern? Würden kleine Maßnahmen bereits helfen oder müssten die Strukturen von Grund auf geändert werden? Was würden Sie ändern, wenn Sie entscheiden könnten?

Ruth Herold: Wenn ich entscheiden könnte, würde ich als erstes die Vergütung der Hebammenarbeit so aufstocken, dass man von dieser Arbeit gut leben kann, ohne sich überarbeiten zu müssen. Ich würde in den Kliniken den Personalschlüssel erhöhen, damit eine 1:1-Betreuung unter der Geburt gewährleistet werden kann (so, wie es auch in der aktuellen S3-Leitlinie empfohlen wird). Außerdem würde ich die Schließung der vielen kleinen geburtshilflichen Abteilungen rückgängig machen, und die Eröffnung von Geburtshäusern fördern, damit die »freie Wahl des Geburtsorts« nicht mehr nur auf dem Papier steht.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass für diese Maßnahmen genug Geld da wäre, wenn man dem Thema eine entsprechend hohe Priorität einräumen würde. In den letzten Jahren gab es zwar viele politische Willensbekundungen, aber passiert ist bisher immer noch nichts. Ein Problem dabei ist auch, dass Schwangere, Gebärende und junge Mütter einfach keine Lobby haben. Darum hält sich meine Hoffnung, dass es da bald nennenswerte Verbesserungen gibt, sehr in Grenzen.

Bis dahin ist Kreativität gefragt, sowohl bei den Hebammen, als auch bei den Frauen und Familien. Die besten und nachhaltigsten Veränderungen entstehen ja oft »von unten«, wenn die Betroffenen die Sache selbst in die Hand nehmen und aufhören, auf »Hilfe von oben« zu warten. Ich habe den Eindruck, dass da gerade einiges in Bewegung ist, und ich bin sehr gespannt, welche Ideen und Möglichkeiten da entstehen werden.

Würden Siejungen Menschen bzw. Frauen raten, den Hebammenberuf zu ergreifen? Oder würden Sie aus eigener Erfahrung unter den aktuellen Bedingungen davon abraten?

Ruth Herold: Ja, ich würde jungen Frauen auf jeden Fall raten, Hebamme zu werden, wenn das ihr Herzenswunsch ist. Es gibt nichts Besseres als junge, engagierte Kolleginnen, die mit ihrer Begeisterung und unverbrauchten Energie frischen Wind in die festgefahrenen Strukturen bringen. Das ist zwar nicht unbedingt einfach, aber auch ein wichtiger Faktor für nachhaltige Veränderungen, und für die Frauen sind diese Hebammen ein Segen.

Sie arbeiten zwar nicht mehr als Hebamme mit Vor- und Nachsorge, sind jedoch der Materie treu geblieben. Werdende und frisch gebackene Eltern zu betreuen scheint auch etwas zu sein, das Sie mit großer Leidenschaft tust. Sie bieten jetzt Geburtsvorbereitungskurse, vorgeburtliche Bindungsförderung und -analyse und eine Hebammensprechstunde an. Sind Sie damit zufrieden? Haben Sie etwas mehr Freiheiten?

Ruth Herold: Die berufliche Neuausrichtung tut mir sehr gut. Ich bin froh, dass ich diese Entscheidung so getroffen habe und mich nun auf meine 3 Schwerpunkte konzentrieren kann.

Die dadurch entstandenen Freiräume nutze ich aktuell unter anderem auch dazu, verschiedene Online-Angebote vorzubereiten und zu veröffentlichen, damit ich mit meiner Arbeit noch mehr Frauen und Eltern erreichen kann, ohne dass meine Gesundheit und mein Wohlbefinden dabei auf der Strecke bleiben.
Frauen auf ihrem Weg in die Mutterschaft zu stärken, indem sie wieder in Verbindung kommen mit den in ihnen wohnenden Kräften und Fähigkeiten, ist nach wie vor mein großes Herzensanliegen. Denn es ist einfach nicht egal, wie wir geboren werden, und ich wünsche mir für alle Kinder einen guten, gesunden und kraftvollen Start ins Leben.

Vielen Dank für die Einblicke, liebe Ruth!

Hinweis: Das Interview mit Ruth Herold habe ich per E-Mail geführt.

Hinweis Nummer 2: Ruth hat mich auf die Insta-Story einer anderen Hebamme hingewiesen, die die Probleme, die Ruth erwähnt, gut ergänzt: Stories • Instagram

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